Europäische Nachhaltigkeitspolitik
Für die Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen ist es bedeutsam, wie die Europäische Union (EU) die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) in ihrem internen und externen Handeln umsetzt. Die Rechtsakte und Programme der EU setzen in vielen Themenbereichen den politischen Rahmen.
Nachhaltigkeit auf EU-Ebene
Die EU arbeitet seit Jahren an der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele mit, hat jedoch derzeit keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Verschiedene EU-Organe, die Bundesregierung und der Bundesrat haben sich in den vergangenen Jahren mehrfach für eine EU-Strategie zur Umsetzung der SDGs und des Nachhaltigkeitsprinzips im EU-Vertrag ausgesprochen – bisher ohne Erfolg:
So sollten die Vorarbeiten zur EU-Nachhaltigkeitsstrategie aus den Jahren 2001 und 2006 reformiert werden. Im Jahr 2010 wurde die auf zehn Jahre angelegte Europa-2020-Strategie mit quantifizierten und terminierten Zielen zu einzelnen Themenbereichen ins Leben gerufen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit auf EU-Ebene geschah jedoch erst im Jahr 2011 mit der Mitteilung „Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“ sowie umfänglicher im Jahr 2016 mit dem Positionspapier „Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft - Europäische Nachhaltigkeitspolitik“. Vor dem Hintergrund der 2015 veröffentlichten SDGs führt die EU hier eine Bestandsaufnahme ihrer Politik im Hinblick auf die Sustainable Development Goals (SDGs) durch. Eurostat veröffentlicht regelmäßig ein Monitoring zur nachhaltigen Entwicklung.
In einem Bundesratsbeschluss von Februar 2017 forderten die deutschen Länder die systematische Umsetzung der SDGs auf EU-Ebene und die Erarbeitung einer neuen und umfassend an die Agenda 2030 und die SDGs ausgerichteten EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Im Juni 2017 hat auch der Ministerrat (Allgemeiner Rat) die Kommission dazu angehalten bis Mitte 2018 eine konkrete Strategie zur Umsetzung der Agenda 2030 vorzulegen. Und auch das Europäische Parlament hat im Juli 2017 die konsequente Umsetzung der Agenda 2030 auf EU-Ebene gefordert.
Die EU-Kommission hat im Januar 2019 in dem Reflexionspapier „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030“ konzeptionelle Vorarbeiten für ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, dass die Kommission in Zukunft die SDGs systematisch in ihrer Arbeit berücksichtigt. Zudem ist der „European Green Deal“ das zentrale Projekt der Kommission. Im Juni 2019 haben die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder mit Blick auf den im September 2019 geplanten SDG-Summit der Vereinten Nationen erstmals eine umfassende gemeinsame Erklärung zur nachhaltigen Entwicklung abgegeben, die auch explizit auf die EU-Ebene eingeht. Der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR) positionierte sich im November 2019 und im Juli 2021 zur Verwirklichung der Agenda 2030 und den SDGs und forderte unter anderem eine langfristige EU-Strategie für ein nachhaltiges Europa bis 2030.
Der Green Deal soll helfen, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.
Nachhaltigkeit findet sich als Ziel in allen sechs politischen Leitlinien der von Ursula von der Leyen geführten EU-Kommission für die Jahre 2019 bis 2024 wieder. Dabei werden viele, aber nicht alle SDGs adressiert.
Eine dieser sechs Leitlinien ist der im Dezember 2019 verabschiedete European Green Deal (EGD). Diese Wachstumsstrategie der Europäischen Union ist das zentrale Instrument, um die Pariser Klimaschutzziele und die der Agenda 2030 zu erreichen. Die Hauptziele des EGD sind eine klimaneutrale EU bis 2050 und die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen. Der EGD besteht aus einer Fülle von Strategien, Gesetzesvorschlägen und Richtlinien – alle mit dem Ziel, die EU-Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft umzugestalten.
Im Dezember 2020 haben sich die EU Staats- und Regierungschefs darauf verständigt, das EU-Klimaziel zur Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 von 40 Prozent auf mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 anzuheben und bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Das Energie- und Klimapaket, mit dem die EU-Kommission das 55-Prozent-Ziel erreichen will, wurde im Juli 2021 vorgestellt. Hier werden die Mitgliedstaaten aufgefordert in ihren Nationalen Aufbau- und Resilienzplänen zu allen sechs Leitlinien der EU Kommission Stellung zu nehmen.
Mit dem European Green Deal und den Klimaschutzzielen leistet die EU in Teilen sehr wichtige Beiträge zur UN Agenda 2030 und der Erreichung der SDGs. Der EGD ist allerdings keine Nachhaltigkeitsstrategie im eigentlichen Sinn: Es werden nicht alle SDGs in der notwendigen Breite und Tiefe adressiert und zentrale Kriterien guter Regierungsführung (Good Governance) des European Sustainable Development Network (ESDN), wie beispielsweise die Partizipation nicht-staatlicher Akteurinnen und Akteure, werden nicht umfassend berücksichtigt. Die nachhaltige Entwicklung in Europa braucht eine langfristige, strategische Ausrichtung unter Wahrung aller Good Governance Kriterien für nachhaltige Entwicklung.
Laut dem Europe Sustainable Development Report 2020 ist kein europäisches Land auf dem Weg alle 17 SDGs bis 2030 zu erreichen. Daher muss die nachhaltige Entwicklung als Grundlage jedes Regierungshandelns verstanden werden. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Chancen, die sich aus der von UN Generalsekretär Antonio Guterres ausgerufenen Dekade des Handelns ergeben, müssen umfassend genutzt werden. Zudem könnte die EU mit einer fundierten Nachhaltigkeitsstrategie den Rahmen für ihre Mitgliedstaaten setzen und Ihrer Vorbildrolle gerecht werden.
Die Grundposition der EU zur nachhaltigen Entwicklung wirkt sich unter anderem auf die Gestaltung des mehrjährigen Finanzrahmens der EU, die EU-Fonds (EFRE, ESF, ELER) und Politikbereichen wie Landwirtschafts-, Umwelt-, Forschungs- und Verkehrspolitik aus.